2008 wäre das Finanzsystem beinahe kollabiert. Mangels behördlicher Kontrolle und Beschränkungen haben die Hedgefonds mittels Spekulationen eine finanzielle Vernichtungsmaschinerie in Gang gesetzt. Das Geld wurde den Heuschrecken von den Banken zur Verfügung gestellt. Und als die Spekulationsblase platzte, mussten die Staaten die Banken retten, um einen Showdown zu verhindern.
Too big to fail hieß die Devise. Dieses Erpressungspotenzial hat dazu geführt, dass die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert wurden. Das russische Roulette am Kapitalmarkt hat die Schuldenquote der Staatshaushalte drastisch erhöht – die Verursacher der Finanzkrise wurden nicht belangt. So funktioniert der Casino-Kapitalismus.
Nach der Bewältigung der Weltfinanzkrise wollte man eine Finanztransaktionssteuer einführen und Regeln für die Schattenbanken erlassen, damit zukünftig auch die Spekulanten für ihr Risiko selbst aufkommen müssen und nicht der Steuerzahler unverschuldeterweise zum Handkuss kommt. Die Politik hat jedoch aus den Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt. Das ist nicht dem fehlenden Wissen um die Machenschaften der Finanzjongleure geschuldet, sondern die Folge des Primats des Kapitals, welches auch weiterhin – ohne wenn und aber – die Spielregeln am Kapitalmarkt bestimmt.
Jetzt ist wieder einmal ein systemimmanenter Betriebsunfall eingetreten. Allein die Credit Suisse, eine der größten Banken der Welt, hat einen Verlust von 4 Milliarden Euro bekannt gegeben. Sie hatte dem Hedgefonds Archegos Capital, der innerhalb von zehn Tagen Ende März 2021 20 Milliarden Euro verloren hat, Kredite eingeräumt, die zum Teil uneinbringlich wurden.
Zur Geschäftsabwicklung: Der Hedgefonds hatte auf Pump Aktien gekauft und diese zur Besicherung an die Bank verpfändet. Dabei wurde ein Hebel von neun vereinbart, d.h. dass bei Kauf von Aktien im Wert von 1 Milliarde Euro dem Hedgefonds ein Kredit von 9 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt wurde. Spekuliert wurde mit marktengen Aktien, deren Kurse durch die hohe Nachfrage gestiegen sind. Die Folge – sprich: Bumerang – war eine Ausweitung des Kreditvolumens (Hebel neun).
Wenn ein Privatkunde bei der Bank einen Kredit beantragt und dafür als Sicherheit Aktien hinterlegt, bekommt er maximal einen Rahmen von 0,5, d.h. bei einem Aktiendepot von 100.000,00 Euro einen Kredit von 50.000 Euro. Die Banken rechtfertigen diese restriktive Ausnutzung damit, dass Aktienkurse auch fallen können und daher Vorsicht geboten ist.
Warum die Banken bei der Finanzierung von Hedgefonds für ihre Wertpapierwetten diese Risikolimitierung ausblenden, ist nicht nachvollziehbar. Wenn man mit einem Hebel von neun arbeitet, trägt das Risiko das Finanzierungsinstitut; das leuchtet jedem Lehrling der Finanzakrobatik ein. Offensichtlich gilt der Hausverstand jedoch nicht für die ehrenwerte Gesellschaft der Finanzwelt.
Apropos ehrenwert: Der Gründer des Hedgefonds Bill Hwang – Sohn eines koreanischen Pastors – wurde bereits in der Vergangenheit wegen Insiderhandel belangt. Die Ermittlungen gegen ihn wurden nach der Bezahlung eines Betrages von $ 44 Millionen eingestellt. Eine solche Vita ist offensichtlich kein Hindernis für die Anbahnung neuer spekulativer Wertpapiergeschäfte.
Bill Hwang ist tiefgläubig. Im Manhattaner Büro von Archegos (auf Deutsch: Anführer) ließ er regelmäßig Texte aus dem Alten und Neuen Testament vorlesen. Sein Credo in Erfolgszeiten: „Wenn wir durch Kapitalismus, den Gott erlaubt hat, gute Unternehmen erschaffen, verbessern wir das Leben der Menschen“.
In Anbetracht des größten Bankendebakels seit der Finanzkrise sollte man, um ein neues Ungemach im Finanzmarkt zu vermeiden, dass Credo wie folgt updaten: Wenn die Finanzpolitik schon hochspekulative fremdfinanzierte Aktienwetten und Derivatgeschäfte zulässt, sind diese zur Aufrechterhaltung des Kapitalmarktes und Vermeidung einer Überwälzung der Verluste auf die Allgemeinheit (too big to fail) zu regulieren: Die Kreditvergabe ist maximal auf den Nominalbetrag der Sicherheiten einzuschränken. Ohne den risikoreichen Finanzierungsmodellen sind systemgefährdende Spekulationen der Heuschrecken nicht mehr möglich. Wir verbessern das Leben der Menschen nur dann, wenn wir die Sprengkraft der Werkzeuge der Schattenbanken entschärfen.
Die Gier der selbsternannten Anführer (griechisch: Archegos) muss endlich gezügelt werden. Widrigenfalls ist das nächste Armageddon nur eine Frage der Zeit.