Das Spiel mit den Steueroasen gehört bei den Konzernen und Superreichen zur Tagesordnung. Trotz Enthüllungen durch Luxemburg-Leaks und Panama Papers hat die EU bis dato nichts dagegen unternommen, um die negativen Auswirkungen der Steuervermeider auf die Allgemeinheit zu unterbinden. Nach einer Studie, die im Untersuchungsausschuss des Europaparlaments vorgestellt wurde, beträgt der Steuerausfall für die gesamte EU jährlich mehr als 100 Milliarden Euro. Würde man die Geldtransfers in die Steueroasen stoppen, könnten laut dieser Studie EU‑weit rund 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Eine EU, die die Rolle einer Beitragstäterin einnimmt – kräftig unterstützt durch die Lobbyisten des Kapitals –, verliert an Glaubwürdigkeit und Legitimation. Ein gefundenes Fressen für die Nationalisten, deren Ziel es ist, die Europäische Gemeinschaft zu zerstören.
Österreich hat in der zweiten Jahreshälfte 2018 den Vorsitz im Rat bei der Europäischen Union. Die Präsidentschaft könnte dafür genützt werden, das Thema Steuergerechtigkeit – der Leitgrundsatz eines jeweils zivilisierten Steuerrechts – auf die Agenda zu setzen. Die Steuer hat sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerzahlers zu orientieren (Leistungsfähigkeitsprinzip). Wenn aber Konzerne und Menschen, die jährlich Milliarden verdienen, nahezu keine Steuern zahlen, wird der Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet.
Österreich hat schon vor Jahren im Steuerrecht für Konzerne ein Abzugsverbot für Zins- und Lizenzzahlungen an Gesellschaften, die ihren Sitz in Steueroasen haben, eingeführt. Finanzierungskosten und Kosten für Patente werden steuerlich dann nicht anerkannt, wenn bei der empfangenden Gesellschaft die Einnahmen nicht mit mindestens 10 % versteuert werden (§ 12 Körperschaftsteuergesetz). Diese Bestimmung stammt noch aus der Zeit der großen Koalition.
Auch wenn die Steuerhoheit bei den direkten Steuern (Einkommen- und Körperschaftsteuer) Angelegenheit der Mitgliedsstaaten ist, hat die EU in der Vergangenheit Harmonisierungsmaßnahmen getroffen. Begünstigte waren – wie nicht schwer zu erraten – Konzerne. So wurde eine Mutter-Tochter-Richtlinie verabschiedet, die sicherstellt, dass Gewinnausschüttungen innerhalb des Konzerns steuerfrei bleiben.
Wenn es um den freien Kapitalverkehr geht, ist die EU die Hüterin der Freizügigkeit. Wenn es um eine gerechte Besteuerung geht, fühlt sie sich nicht zuständig. Eine Diskussion über eine europäische Steueroasen-Richtlinie ist ein Tabuthema.
Eine Frage der Gerechtigkeit wäre auch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Seit Jahren wird darüber geredet – geschehen ist bis dato nichts. Und auf der Tagesordnung der Steuergerechtigkeit steht auch die Besteuerung der Milliardengewinne von Apple, Amazon, Google & Co. Die amerikanischen Profitgiganten haben allein im Jahr 2015 rund 620 Milliarden Dollar in Steueroasen umgeleitet. Das entspricht fast 20 % der gesamten Körperschaftsteuereinnahmen in den EU-Staaten. In Trump‘schen Zeiten der Zölle ist die Besteuerung von Gewinnen, die die US‑Konzerne in Europa aus der Verwertung der persönlichen Daten der Nutzer erwirtschaften, ein Must-have.
Die Ratspräsidentschaft Österreichs könnte ein Meilenstein für die Zukunftsentwicklung der EU sein. Zu befürchten ist jedoch, dass die neoliberale Handschrift des Kanzlers Kurz von einer Steuergerechtigkeitsdebatte nichts wissen möchte. So ist im Jahressteuergesetz 2018 der türkis-blauen Koalition vorgesehen, dass Unternehmen, die einen Umsatz von über 40 Millionen Euro erzielen, bei Einsatz eines Horizontal Monitoring nicht mehr vom Finanzamt geprüft werden. Von einer solchen Privilegierung können die Klein- und Mittelbetriebe nur träumen.
Zum Horizontal Monitoring von Sebastian Kurz: Sein Ziel ist die Aufrechterhaltung des Status quo. Das entspricht seinem turbokapitalistischen Gen. Für den Vizekanzler ist die Steuergerechtigkeit mangels Verknüpfung mit der Asylfrage kein Thema.