Die digitale Zukunft

Seit dem österreichischen Nationalökonomen Joseph Schumpeter ist bekannt, dass jede ökonomische Entwicklung ein Prozess der schöpferischen Zerstörung ist. Durch technologische Revolutionen werden alte Strukturen verdrängt und schließlich zer­stört.

Die Innovation der Gegenwart ist die Digitalisierung. Während früher technologische Umbrüche zu einem Beschäftigungswachstum geführt haben, rechnen Ex­perten dies­mal damit, dass durch die Digitalisierung in den nächsten Jahrzehnten hunderte Milli­onen Jobs vernichtet werden.

In einem solchen Epochenwandel ist die Frage zu beantworten, wie eine Gesellschaft funktionieren kann, deren Belohnungs- und Siche­rungssysteme auf Beschäftigung aufbauen, der aber die Arbeit ausgeht. Zuerst muss man über die arbeitsplatzvernich­tenden Rebound-Effekte sprechen; erst dann kommen die Wünsche der Konzerne auf die Agenda. Dies ist die Vorgabe an eine Politik, die den Anspruch erhebt, 99 Prozent zu vertreten.

Das Prinzip der Gewinnmaximierung – die Triebfeder des hemmungslosen Konzern­kapitalismus – wird dazu führen, dass alles, was automatisiert werden kann, auch au­tomatisiert werden wird. Dabei werden alle Informationen, die man elektronisch spei­chern und verarbeiten kann, auch erfasst. Die Informationsverarbeiter aus Silicon Va­lley sind die neuen Rockefellers des 21. Jahrhunderts.

Welche Auswirkungen die Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt hat, kann man am Bei­spiel des ersten kassenlosen Supermarktes in den USA sehen. Der Internetriese Ama­zon hat in Seattle einen Lebensmittelmarkt eröffnet, der komplett ohne Kassen aus­kommt. Die Anmeldung er­folgt per App. Mittels Sensoren und Videokameras wird der Einkauf registriert. Die Rechnung schickt Amazon aufs Handy. Zukünftig kann der Su­permarkt auch von selbstfahrenden LKW´s mit online bestellten Waren beliefert, von Robotern bestückt und von Putzau­tomaten gesäubert werden. Der Faktor Mensch spielt – wenn überhaupt – nur mehr eine untergeordnete Rolle. Wer dann mangels Einkommen die Waren kaufen soll, werden sich die Konzerne fragen müssen.

Im Rahmen der Digitalisierung wird es zu einer neuerlichen Umverteilung des Reich­tums kommen und ist daher darüber zu diskutieren, wer der Profiteur der riesigen Pro­duktivitätsgewinne ist, die dadurch entstehen, dass Roboter und smarte Maschinen die Jobs vieler Menschen übernehmen werden. Profitiert von dieser Rationalisierung die Gesellschaft, oder landet der Gewinn in den Taschen einiger weniger Investoren und Manager?

Spätestens seit der Finanzkrise wissen wir, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert wer­den. Dieses Spiel zu Lasten der Allgemeinheit darf keine Neuauflage erfahren. Daher ist die Politik im Interesse der Gesellschaftsordnung aufgefordert, neue Rahmenbedingungen zu schaffen, damit nicht die Gefahr besteht, dass Massenarmut und Präkarisierung zur Tagesordnung gehören.

In Zeiten wie diesen ist die Gründung eines Digitalisierungsministeriums, welches sich mit den Auswirkungen der Disruption auf die Gesellschaft beschäftigt, unerlässlich. Im Bereich der Besteu­erung ist ein Austausch des Steuersubjektes notwendig. Wenn zukünftig die Wertschöpfung vor allem das Ergebnis der Digitalisierung ist und der Faktor Arbeit substituiert wird, muss eine Wertschöpfungsabgabe die steuerliche Belastung der Ar­beitseinkünfte entlasten; alles andere widerspräche dem Leistungsfähigkeitsprinzip.

Auch die Komplizenschaft der Konzerne und der Politik in Sachen Steuervermeidungs­tricks muss ein Ende haben. Es ist durch nichts zu rechtfertigen, dass die Konzerne, vor allem in den entwickelten Industriestaaten, erstklassige Infrastrukturen in Anspruch nehmen und sich vor einem Beitrag für die Solidargemeinschaft drücken. Die Einfüh­rung einer digitalen Betriebsstätte und einer Fair Tax könnten der kreativen Buchhal­tung der Multis – Verlegung von Gewinnen in Steu­eroasen – ein Ende setzen.

Von den enormen Produktivitätsgewinnen, die diese technologische Revolution mit sich bringen wird, muss auch die breite Masse profitieren. Ein Ansatz wäre, die wö­chentlichen Arbeitsstunden bei vollem Lohnausgleich zu reduzieren.

Europa als Wiege der sozialen Marktwirtschaft hat die „vierte Industrielle Revolution“ daran zu messen, ob sie zum notwendigen ökosozialen Wandel unserer Wirtschaft beiträgt. Als Antithese zur Trump´schen Geschenkspolitik für das oberste 1 Prozent.

Unser Gesellschaftssystem baut auf der Teilhabe für alle auf. Und wenn diese gefor­dert ist, muss man auch für die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens die schöpfe­rische Zerstörung in ihre Schranken weisen. Die Einführung einer Mindestbeschäfti­gungsquote: In Abhängigkeit des Umsatzes eine Mindestanzahl von Arbeitsplätzen. Das entspricht der Sozialpflichtigkeit des Eigentums.

Lässt man die Digitalisierungsfanatiker uneingeschränkt walten, ist es nur mehr ein kleiner Schritt von der kassenlosen Gesellschaft zur Autokratie. Dann hätte zwar das Duopol Google und Amazon ihr Ziel erreicht, jedoch auf Kosten der Allgemeinheit.

Wohin eine Entwicklung ohne Berücksichtigung der Auswirkungen für die Gesellschaft führt, sieht man bei der Globalisierung. Produziert wird in den Billiglohnländern, Um­weltvorschriften sind ein Fremdwort und der Gewinn wird von den Konzernen steuer­frei gestellt. Wenn man aus dieser Entwicklung für die anstehende Digitalisierung nichts gelernt hat, werden die Folgen in der Zukunft eine Gefährdung für den sozialen Frieden.

Karl Marx hatte nur zum Teil recht: Seine Prophezeiung, dass der Kapitalismus über selbstzerstörerische Kräfte verfügt, ist zutreffend; seine Ausführungen zur klassenlo­sen Gesellschaft gehören jedoch ins Reich der Fantasie.

P.S.: Ohne einer Debatte darüber, welche Digitalisierung wir wollen oder nicht, – Zeit­plan inklusive – werden wir dem Problem immer hinterherlaufen. Ob es dabei um die ökologischen Auswirkungen geht oder um fake news, Wahlbeeinflussungen und Gefährdung unserer Kinder – die Ausbeutung der User wird schon längst nicht mehr von Menschen kontrolliert.