Handeln oder Tilt!

Sie erinnern sich vielleicht noch aus ihrer Jugendzeit an den Flipperautomat. Wer den Versuch unternommen hat, seine fehlende Geschicklichkeit durch Rütteln auszugleichen, wurde bestraft: Tilt! Auch beim Klima droht ein ähnliches Schicksal, weil der Mensch glaubt, dass sein Handeln nicht der Ursachen-Wirkung-Logik unterliegt.

Zum Stand der Wissenschaft:

Die exzessive Mobilität und der wachstumsbedingte Rohstoffverbrauch haben dazu geführt, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre immer weiter steigt und wir heute in einer 1,2-Grad Welt leben. Laut dem Emissions Gap Report müssten die Regierungen ihren CO2-Ausstoß fünfmal so stark reduzieren, damit die Durchschnittstemperatur unter 1,5° bleibt (Pariser Abkommen). Das ist die Realität im Gegensatz zu den Beschlüssen der Klimakonferenzen. Die auf freiwilliger Basis festgelegten CO2-Einsparungen führen in eine 3- bis 4-Grad-Welt. Durch die biophysikalischen Rückkoppelungseffekte könnte die 1,5-Grad-Welt bereits in fünf Jahren Realität sein. Dürre, Schmelze, Artensterben – die Folge der menschlichen Unvernunft.

Der existenziellen Krise im Mensch-Natur-Verhältnis muss unverzüglich entgegengesteuert werden. Sie manifestiert sich in dreifacher Gestalt: Atmosphäre (Klimakrise) – Biosphäre (Artensterben)-Mikrosphäre (Pandemie). Alle drei bedingen und verschärfen sich gegenseitig.

Zur Realität:

Die dystopische Scheindebatte um den Klimawandel muss ein Ende haben. Nach außen wird von der Kommissionspräsidentin großspurig ein neuer Green Deal versprochen. Wenn es dann darauf ankommt, wird die Subventionierung der Agrar-Konzerne fortgeschrieben und nur 20 Prozent der Direktzahlungen an Umweltauflagen gebunden (GAP-Reform). Die Konsequenz: 2 Prozent der größten landwirtschaftlichen Betriebe erhalten über ein Drittel der Fördergelder. 80 Prozent der Bauern bekommen nicht einmal 20 Prozent. Kein Wunder, dass durch diese Förderpolitik die falschen Anreize geschaffen werden. In Zeiten wie diesen wird die Chance auf die Neugestaltung der Agrarfördermittel, die immerhin 40 Prozent des EU-Budgets ausmachen, nicht genutzt.

Zur Bekämpfung der Pandemie hat die EU ein 750 Milliarden Euro schweres Hilfspaket auf die Beine gestellt. Obgleich die Auswirkungen der Erderwärmung jene des Virus um ein Vielfaches übertreffen werden, gibt es außer Ankündigungen keine Umwelt Bazooka, um noch die schlimmsten Folgen verhindern zu können. Umweltschutzexperten genießen offensichtlich nicht das gleiche Vertrauen wie die Epidemiologen.

Selten war eine Vorhersage wissenschaftlich so abgesichert wie jene der Erderwärmung. Um noch eine Kehrtwende hinzukriegen, müsste die EU einen One Billion Green Deal-Fonds ins Leben rufen. Seine Aufgabe wäre es, Umweltinvestitionen mit 20 Prozent zu fördern (nicht rückzahlbare Zuschüsse). Welche Erfolge man mit öffentlichen Förderungen erzielen kann, hat man jetzt bei der Entwicklung des neuen Impfstoffes gesehen. Statt einer Zeit von 10 bis 20 Jahren wurde dieser innerhalb eines Jahres entwickelt. Dieser Beschleunigungsturbo muss auch für den Klimaschutz gelten. Die Versuchung ist leider groß, dass die Regierenden Versprechungen bis zur Jahrhundertmitte abgeben, weil ein Großteil derjenigen diesen Zeitpunkt nicht mehr erleben werden.

Unter Berücksichtigung der Privatinvestitionen würde der Fonds eine Wertschöpfung von fünf Billionen Euro generieren. EU-First und eine Vorbild-Region für die gesamte Welt. Das wäre eine angemessene Handlungsmaxime.

Und wer soll das alles bezahlen? Die EU-Staaten verzichten bis heute jährlich auf 150 Milliarden Steuereinnahmen aufgrund der Steueroasen und des Mehrwertsteuerbetruges. Würde man die Konzerne zur Kasse bitten und den Karussellbetrügern durch eine Systemänderung das Handwerk legen – Erhebung der Mehrwertsteuer auf der letzten Stufe (Endverbraucher) -, könnte man innerhalb einer Dekade alle Fondsschulden tilgen.

Die Frage ist, warum man trotz Kenntnis der Dringlichkeit keine problemadäquaten Handlungen setzt. Eine sich aufdrängende Antwort: Nicht die EU entscheidet, wohin der Weg geht, sondern die Konzerne. Solange der Würgegriff des Kapitals (“Seid umschlungen, Millionen”) regiert, kommen wir dem Tilt-Modus immer näher.