Der Kipppunkt

Durch die Annexion der ukrainischen Gebiete und die teilweise Mobilmachung durch Russland ist eine Wende eingetreten, die aus keiner Perspektive positiv erscheinen kann. Für den Weltfrieden ist dies eine bedrohliche Lage.

Bisher hat die westliche Welt auf die russische Invasion mit Sanktionen, Finanzspritzen und Waffenlieferungen geantwortet. Aus russischer Sicht handelt es sich seit der Annexion um einen Angriffskrieg. Trotz dieser verqueren Sicht der Dinge besteht die reale Gefahr, dass Putin den Westen als Kriegsgegner einstufen wird. Atomwaffendrohung inklusive.

Es stellt sich jetzt die Frage, ob nicht der Punkt erreicht wurde, an dem die ukrainischen Interessen mit jenen des Westens, nicht mehr deckungsgleich sind. Der ungarische Präsident Viktor Orban hat bereits eine Volksbefragung zu den Sanktionen mit dem Hinweis, dass diese nicht auf demokratischer Weise zustande kamen, angekündigt. Europas Bürger zahlen den Preis, ohne dass sie gefragt werden.

Die von der EU behauptete Alternativlosigkeit obiger Vorgangsweise ist einerseits der Auftritt von Brüssel als Erfüllungsgehilfin der USA und andererseits die Nichteinbindung der Meinung der EU-Bürger.

Wie kommen wir aus der Sackgasse der selbstverschuldeten Unmündigkeit heraus? Indem man die irrige Hoffnung aufgibt, dass man die Ukraine so lange unterstützt, bis sie Putin vertreibt. Das ist jedoch ohne Kriegseintritt nicht realistisch.

Auch für diese vertrackte Situation muss es einen Plan B geben. Wenn man realisiert, dass in der Ukraine ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und Amerika stattfindet, muss die EU zur Rettung Europas das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen. Dazu gehört die Ausarbeitung von Rahmenbedingungen für einen Waffenstillstand.

Zurzeit beschränkt sich die EU darauf, den Ukrainern zuzusichern, dass nur sie darüber entscheiden, ob, wann und unter welchen Umständen sie zu Gesprächen bereit sind. Schwere Waffen liefern, Milliarden-Beträge bereitstellen und dramatische Wohlstandsverluste hinnehmen, ohne ein Wort mitzureden, ist ein No-Go. Russland gegenüber müsste man signalisieren, dass sämtliche Sanktionen aufgehoben werden, wenn die Waffen schweigen.

Von der Leyen & Co befeuern mit ihrer Politik den Eskalationskurs. Alternativlos ist in Wirklichkeit ein längst fälliger Kurswechsel – statt bellizistische Parteinahme unter dem Motto „Koste es, was es wolle“, die Ausarbeitung von Vorschlägen für ernsthafte Friedensverhandlungen. Da führt kein Weg vorbei.