Zum Mythos der Steuerschlupflöcher

In den Medien standen jetzt nach den Panama Papers die Paradise Papers in den Schlagzeilen. Nach der Auswertung der anonym zugespielten Datensätze gab es den üblichen Aufschrei samt politisch inszenierten Empörungen. In einigen Tagen wird das Interesse wieder abflauen und das Spiel geht weiter wie bisher.

Schätzungen zufolge werden derzeit lediglich 20 % der Vermögen, die sich in euro­päischen Steueroasen befinden, gegenüber dem Fiskus gemeldet. Über die rest­lichen 80 % gibt es keine Informationen, außer wenn durch weitere Leaks Offshore-Transaktionen das Licht der Öffentlichkeit erblicken.

Die Konzerne und Superreichen – 80 % des Vermögens in Steueroasen gehört den Reichsten 0,1 % – nützen die von der Politik geschaffenen Gestaltungsmöglich­keiten.

Zu den Fakten:

  1. Es gibt keine Steuerschlupflöcher; Steueroasen sind Teil des globalen Wirt­schaftssystems. Dass es so ist, wie es ist, ist gewollt.
  2. Das Einstimmigkeitsprinzip in der EU in Steuerangelegenheiten verhindert eine Schubumkehr.
  3. Es gibt kein Transparenzregister, in welchem alle Personen und Unternehmen, die sich in Steueroasen verstecken, aufscheinen.
  4. Die EU und jeder EU-Staat könnte dem Betrug an der Allgemeinheit sofort ein Ende setzen; Voraussetzung: Man müsste nur wollen!

ad 1:  Dass Konzerne und Superreiche ihre Gewinne in Regionen verschieben, in welchen sie keine Steuern zu bezahlen haben, entspricht dem Prinzip der Gewinnmaximierung. Sie nutzen jene Gestaltungsmöglichkeiten aus, die die Staaten ihnen zur Verfügung stellen. So werden beispielhaft Markenrechte oder Patente in Steueroasen registriert, für deren Benutzung die Konzernge­sellschaften in den einzelnen Ländern bis zu 10 % des Umsatzes zu zahlen haben. Die Lizenz- und Patentzahlungen werden als Betriebsausgabe abge­setzt und reduzieren die Bemessungsgrund­lage für die Besteuerung; schon “übersiedelt” der Gewinn in die Steueroase.

ad 2:  In der EU gibt es keinen Mindestsatz für die Unternehmensbesteuerung; im Gegensatz zur Umsatz- und  Tabaksteuer. Letztere treffen den Normal­bürger. Da die europäischen Steueroasen, wie Malta, Luxemburg, Irland, Zypern und Niederlande sich gegen eine Änderung aussprechen, können die Sümpfe auch nicht trockengelegt werden.

ad 3:  Da die europäischen Steueroasen kein Interesse daran haben, dass sich an ihrem Modell etwas ändert, sprechen sie sich gegen eine Transparenz­datenbank aus, in welcher sämtliche Unternehmen oder Personen, die von den Offshore-Konstruktionen profitieren, auch tatsächlich aufscheinen würden. Diskretion ist Ehrensache – wohin käme man, wenn auch die “ehren­werte” Gesellschaft Daten offenlegen müsste. Wie erfolgreich die Diskretion ist, zeigt die Entwicklung: Schätzungen zufolge befinden sich 12 % der welt­weiten Wirtschaftsleistung in Steueroasen; Tendenz steigend.

Dass der Fiskus von einem normalen Steuerpflichtigen vollkommene Transparenz ab­verlangt, ist bekannt (Kontenregister, Meldepflichten etc.). In der Oberliga herrscht hingegen vornehme Diskretion. Die Steueroasenpraxis lebt davon, dass Treuhänder als Direktoren bei Stiftungen eingesetzt werden, um die wahren Eigentumsverhältnisse zu ver­schleiern. Eine blackbox – auch für den Fiskus. Das geht soweit, dass sogar der deutsche Finanzminister Altmaier, die an den Enthüllungen beteiligten Zeitungen auffordern musste, ihm die Daten zur Verfügung zu stellen um Informationen über die tatsächlichen wirtschaftlichen Eigentümer zu erhalten. Staatliche Informationsbeschaffung über geleakte Treuhandkanzleien – was für eine Offenbarung.

ad 4:  Expertenschätzungen zufolge beträgt der Steuerausfall im Zusammenhang mit den europäischen Steueroasen pro Jahr dreistellige Milliardenbeträge. Die EU könnte die Zustimmung der betroffenen Staaten für eine Transparenzpflicht und einen Mindeststeuersatz dadurch erreichen, indem sie diesen als Gegen­leistung für den Entfall ihres Geschäftsmodelles eine zeitlich befristete Strukturhilfe gewährt. Auch die einzelnen EU-Staaten hätten es selbst in der Hand, die Reichen zur Kassa zu bitten. Man bräuchte nur die Zahlungen für Patente, Lizenzen etc. an Unternehmen, die ihren Sitz in Steueroasen haben, steuerlich nicht mehr als Betriebsausgabe anerkennen. Für diese Regelung ist weder ein ein­stimmiger EU-Beschluss noch eine Änderung von bestehenden Doppelbe­steuerungsabkommen erforderlich.

Wenn auch die 0,1 % unserer Gesellschaft Steuern zahlen würden, ergäbe dies eine Win-Win-Situation: Höhere Steuereinnahmen und Entlastung der restlichen 99,9 %!

Die österreichische Regierung könnte anlässlich des Ratsvorsitzes im 2. Halbjahr 2018 die steuerliche Gleichbehandlung auf ihre Agenda setzen und somit einen wertvollen Beitrag gegen die gefährliche Polarisierung in unserer Gesellschaft leisten. Ein absolutes to do, da ohne Beseitigung dieser Ungerechtigkeit eine ange­dachte Vertiefung der EU illusorisch ist.